(04-04-2012/Di) Am 4. April 1967 wurde erstmals Atommüll in das damals schon 60 Jahre alte Bergwerk ASSE II eingelagert. 40 Jahre später, am 4. April 2007 forderten KritikerInnen mit der Remlinger Erklärung, die ASSE II nicht zu fluten. Dabei verabredeten die vier Endlagerstandorte ASSE II, Morsleben, Gorleben und KONRAD eine verstärkte Zusammenarbeit als Endlagerkoordination. Unter dem Motto: „Die ASSE bringt es an den Tag“ wollten sie verstärkt die desaströsen Erfahrungen des Umgangs mit Atommüll in den Mittelpunkt rücken, statt sich auf eine ausschließlich spekulative Diskussion einzulassen, ob 1.000.000 Jahre Sicherheit möglich ist.
Dem Einlagerungsbeginn waren drei Jahre heftiger Auseinandersetzung vorausgegangen, in der Anwohner darauf hingewiesen hatten, dass die Nachbarschächte abgesoffen waren und auch ASSE II instabil und durchfeuchtet war. Am 1. September 1964 wandte sich der Kreistag Wolfenbüttel erstmals einstimmig gegen die ASSE-II-Pläne. Anders als 10 Jahre später in Wyhl, kam es im Kreis Wolfenbüttel aber nicht zu einer nachhaltigen Selbstorganisation des Protestes der Bevölkerung.
Erst in den 70er Jahren entstanden auch hier Bürgerinitiativen und Bürger klagten. Nach einer Änderung des Atomrechtes musste die Einlagerung Ende 1978 eingestellt werden. Bemerkenswert: 1/3 der in ASSE II lagernden Abfälle wurden in den beiden letzten Jahren 1977 und 1978 eingelagert und genau in dieser Zeit treten in der unmittelbaren Umgebung sog. Sex Odds auf, eine deutliche Verringerung des Anteils von Mädchen bei den Geburten.
Um sich des Schattens der abgesoffenen Anlagen ASSE I und ASSE III zu entledigen wurde auf den Hinweisschildern die „II“ übermalt. Es sollte nur noch eine Schachtanlage ASSE geben.
Ein Ansinnen ASSE II als Standort für alle Arten radioaktiver Abfälle („besser geeignet als Gorleben“) ins Rennen zu schicken, wurde 1982 in einem Spitzengespräch wegverhandelt: Bund und Land entschieden sich für Gorleben und KONRAD. ASSE II durfte weiter forschen. Als 1990 aber eigens aus den USA importierte hochaktive Kokillen in die ASSE II eingebracht werden sollten, gab es abermals eine einstimmige Ablehnung im Kreistag und massive Proteste. 1500 Menschen umzingelten die Schachtanlage und führten die bis heute größte Kundgebung am Standort durch. Die Kokillen blieben in den USA, der Versuch blieb unbeendet. Vielleicht auch, weil es seit 1988 einen kontinuierlichen Wasserzufluss in die ASSE II gibt, der die Standsicherheit weiter unterminierte. Allerdings dauert es nochmal zwei Jahrzehnte, bis die Brisanz dieser Tatsache erkannt wurde. Erst als 2008 nachgewiesen werden konnte, dass untertägige Lauge mit dem künstlichen Caesium137 belastet war, der Wasserzufluss also den Atommüll bereits erreicht hatte, schwappte die ASSE-Lauge in die bundesweite Öffentlichkeit. Jetzt ging plötzlich alles sehr schnell, die Verantwortlichkeit wechselte beim Bund zum Forschungs- zum Umweltministerium, die geplante Flutung des Atommülls wurde gestoppt, der Betreiber ausgewechselt, der Atommüll unter den Schutz des Atomrechtes gestellt und Optionen für den weiteren Umgang verglichen. Seit verkündet wurde, dass die Rückholung des Atommülls aus der ASSE II der einzig vertretbare Weg ist, geht alles wieder sehr langsam. Und auch die Option, die ASSE II „im Notfall“ zu fluten, ist nicht vom Tisch.
Seit 1988 werden im Bergwerk täglich rund 12 m³ Wasser aufgefangen, die aus dem Nebengebirge (3) ins Bergwerk eindringen. Bis heute ist die Herkunft nicht geklärt.
45 Jahre nachdem das erste Fass Atommüll eingelagert worden ist, ist die ASSE II heute zum Prüfstein dafür geworden, wie der Bund mit seinen Fehlern der Vergangenheit umgeht. Wenn nicht alles getan wird, den Müll aus der ASSE II zu räumen oder wenn man dazu nicht in der Lage ist, wird das die weitere Auseinandersetzung über den Umgang mit Atommüll in Deutschland langfristig belasten. Am Montag, dem 12. März zeigte sich Bundesumweltminister Röttgen vor der ASSE II „tiefbewegt“ von den örtlichen Emotionen, versprach alles für die Räumung der ASSE zu tun [Pressebericht]. Tags darauf, am Dienstag, dem 13. März verabschiedete er sich in den in den Wahlkampf nach Nordrhein-Westfalen. Das spricht Bände. Ein Brief des ASSE-II-Koordinationskreises mit der Bitte, die am 12. März gemachten Zusagen schriftlich zu bestätigen, blieb bisher unbeantwortet. Staatssekretärin Heinen-Esser, die am 30. März im ASSE-II-Begleitgremium über den Fortgang berichten sollte, sagte kurzfristig ab. [Brief an Röttgen]
Welche Dimension die ASSE-II-Auseinandersetzung bundesweit hat, machte die Endlager-Koordination auf einer Landespressekonferenz am 8. Februar in Hannover deutlich. „Wesentliche Vorleistung des Bundes“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung zur Diskussion um ein Endlagersuchgesetz, „ist eine vorbehaltlose und schonungslose Aufklärung seines Fehlverhaltens in der Vergangenheit: Wie konnte es zu einer ausschließlich politisch motivierten und fachlich absurden Entscheidung für den Standort Gorleben kommen? Wie konnte es zu den fatalen Fehlprognosen für ASSE II kommen. Irrtümer oder Lügen ? - Es geht dabei nicht darum, dass man dieses oder jenes Detail nicht wieder machen würde, sondern um die Klärung der Glaubwürdigkeit von Prognosen im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft.“