Fragen und Antworten
Was ist das zentrale Atom-Zwischenlager Würgassen?
Das zentrale Atommüll-Lager in Würgassen soll auf dem Gelände des ehemaligen Atomkraftwerks entstehen, das 1994 stillgelegt und bis 2014 teilweise abgerissen wurde. Wichtigstes Gebäude der geplanten Anlage ist eine riesige Stahlbetonhalle (325 Meter lang, 125 Meter breit und 16 Meter hoch) mit mehreren Lagerbereichen und einem Bearbeitungsbereich. Hinzu kommen räumlich getrennte Areale für den An- und Abtransport von Atommüll, jeweils mit Verladekran und Gleis- und Straßenanschluss, und verschiedene Betriebsgebäude. Gebaut und betrieben werden soll die Anlage von der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ). Derzeit lagern bereits etwa 5.000 Tonnen schwach- und mittelradioaktive Abfälle aus dem Rückbau des AKW Würgassen vor Ort.
Wozu soll das Lager für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll dienen?
Das neue Lager dient salopp formuliert dem „Atommüll-Tetris“ für Schacht Konrad in Salzgitter. Im dortigen ehemaligen Eisenerz-Bergwerk wird derzeit ein langfristiges tiefengeologisches Lager für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll gebaut, das 2027 in Betrieb gehen soll. Geplant ist, den Müll in Würgassen nach verschiedenen Kriterien wie Wärmeentwicklung, Behälterform, Größe und Radioaktivität zu sortieren. Einziger Grund dafür ist, dass bei Schacht Konrad aus Kostengründen die genehmigten Obergrenzen bis zum Letzten ausgereizt werden sollen. Beispielsweise gibt es eine ganze Reihe von Atommüllgebinden mit Radionukliden, deren genehmigte Einlagerungsmenge in Schacht Konrad erreicht bzw. sogar überschritten werden wird. Deshalb wollen die Abfallanlieferer einen Ausgleich der Aktivitätskontingente schaffen. In dem jeweiligen unterirdischen Kammern sollen dann Behälter eingelagert werden, die die genehmigten Werte überschreiten zusammen mit Behältern, die die genehmigten Werte unterschreiten, um dann in der Summe die Werte doch einzuhalten. Um diese komplizierte Logistik in den Griff zu bekommen, sollen die Abfälle alle an einen Ort, Würgassen, geschafft, dort sortiert und dann in gezielt zusammengestellten Chargen in einer festgelegten Reihenfolge nach Schacht Konrad transportiert und dort eingelagert werden.
Sollen in Würgassen noch andere Arbeiten an den Atommüll-Behältern stattfinden?
Der Müll wird aber verpackt in das Lager Würgassen angeliefert. Das Lager dient also im Regelbetrieb nicht der Öffnung und Umverpackung von Atommüll. Es soll aber einen Bearbeitungsbereich geben, in dem Behälter kontrolliert und geöffnet werden können. An einem Teil der Behälter muss vor dem Abtransport nach Schacht Konrad Druck und Flüssigkeiten abgelassen und das Dichtsystem der Behälter überprüft werden. Inwieweit die Behälter bei Schäden auch vor Ort neu konditioniert, also neu bearbeitet oder neu verpackt werden können, ist bisher nicht bekannt.
Mit welchen Mengen an Atommüll ist in Würgassen zu rechnen?
Der gesamte schwach- und mittelradioaktive Atommüll Deutschlands soll das Lager in Würgassen durchlaufen. Das sind etwa 90 Prozent der radioaktiven Abfälle aus dem ganzen Bundesgebiet. Insgesamt handelt es sich um 303.000 Kubikmeter strahlender Abfall, der dort nach und nach gelagert und wieder abtransportiert werden muss. Bis zu 60.000 Kubikmeter Müll sollen auf einmal in die Halle passen. Das sind 15.000 Behälter. Allerdings ist das Gebäude im Vergleich zu bisherigen Zwischenlagern so groß dimensioniert, dass möglicherweise deutlich mehr Atommüll hineinpasst. Es wäre nicht das erste Mal, dass zu große Lagerhallen gebaut und dann mehr Müll eingelagert werden, als vorher angesagt wurde.
Welche Arten von Müll kommen nach Würgassen?
Der schwach- und mittelradioaktive Müll, der nach Würgassen transportiert werden soll, stammt hauptsächlich aus dem Betrieb und Abriss der deutschen Atomkraftwerke. Der Anteil von Abfällen aus Medizin, Materialforschung und Industrie ist relativ klein. Gesprochen wird gerne von Schutzkleidung oder Bauschutt. Das klingt alles schön harmlos. Tatsächlich befindet sich in den Behältern unter anderem hoch belastetes Material wie Filterharze, stark kontaminierte Bauteile und kernbrennstoffhaltige Abfälle, ja selbst Strontium und insgesamt 900 kg Plutonium. Außerdem ist der Müll stark konzentriert, da er vor der Lagerung konditioniert wird. Das heißt: die Abfälle werden eingedampft, verbrannt, verpresst, betoniert, geschmolzen, behandelt und verpackt. Sie enthalten Radionuklide mit langen Halbwertszeiten und bleiben für hunderttausende von Jahren gefährlich.
Nicht zu unterschätzen beim Umgang mit diesen radioaktiven Abfällen ist außerdem, dass sie auch brennbar, flüssig, gasbildend, biologischen Prozessen unterworfen, wassergefährdend oder hochgiftig sein können. In den Abfallgebinden sind außerdem viele Stoffe enthalten, die chemotoxisch wirken, z.B. Arsen, Quecksilber und Cyanide.
Soll auch hochradioaktiver Atommüll nach Würgassen kommen?
Nein, denn in Schacht Konrad soll kein hochradioaktiver Atommüll eingelagert werden, also kein Material aus Castor-Behältern.
Ist schwach- und mittelradioaktiver Atommüll harmloser als hochradioaktiver?
Strahlung und radioaktives Inventar sind zwar geringer als bei hochradioaktivem Müll. Aber in der Summe ist die Strahlung trotzdem enorm. Auch schwach- und mittelradioaktiver Müll enthält Alpha-, Beta-, Gamma- und Neutronenstrahler, die erhebliche Gesundheitsgefahren bedeuten können. Außerdem ist der Müll weniger sicher verpackt: die Strahlung in der Nähe der Behälter darf ebenso hoch sein wie bei einem Castor-Behälter mit hochradioaktivem Müll. Der Grenzwert beträgt in beiden Fällen 100 Mikrosievert pro Stunde im Abstand von zwei Metern - das ist etwa tausend Mal mehr als die natürliche Hintergrundstrahlung.
Woher kommt dwe Müll, der in Würgassen Zwischengelagert werden soll?
Aus allen deutschen Atomkraftwerken, aus Atom-Forschungsanlagen wie dem ehemaligen Kernforschungszentrum Karlsruhe (von dort kommen alleine 20 Prozent des Atommülls) und aus Landessammelstellen. Insgesamt werden 52 Einrichtungen in ganz Deutschland ihren strahlenden Müll nach Würgassen transportieren.
Wielange soll das Lager betrieben werden?
Der Betrieb soll im Jahr 2027 aufgenommen werden, zeitgleich mit dem geplanten Beginn der Einlagerung von Atommüll in Schacht Konrad. Diese wird, wenn alles glatt geht, drei bis vier Jahrzehnte dauern. Atommüll würde in Würgassen also mindestens bis 2057 lagern. Danach soll das Lager stillgelegt werden.
Warum wurde Würgassen als Lager ausgesucht?
Der Standort Würgassen wurde nach Angaben der BGZ aus mehreren Gründen ausgewählt: wegen der relativen Nähe von 90 Kilometern zum Schacht Konrad, der Verfügbarkeit einer ausreichend großen Fläche außerhalb eines Naturschutzgebiets, dem vorhandene Gleisanschluss und der Infrastruktur der zwei Zwischenlager, die bereits auf dem Gelände stehen. Offensichtlich wurde bei der Entscheidung großen Wert darauf gelegt, dass das Projekt möglichst schnell umgesetzt werden kann.
Was ist bei der Auswahl besonders kritikwürdig?
Für die letztendliche Entscheidung wurden von der BGZ nur zwei Faktoren gewertet: 1. die Entfernung des Standortes zur nächsten Bahnlinie und 2. die Länge der Straßen-Transportstrecke zum Schacht Konrad. Zweiteres ist unlogisch, da die Bundesgesellschaft selbst schreibt: „Entsprechend der Stellungnahme der Entsorgungskommission (ESK) soll die Beschickung des Endlagers Konrad überwiegend über die Bahn erfolgen.“ Hätte die BGZ statt der Länge der Straßenstrecke richtigerweise die der Schienenstrecke nach Salzgitter als Maßstab genommen, wäre Würgassen nicht auf Platz 1 gelandet. Zudem steht in der Stellungnahme der ESK: „Die Bahnstrecke muss zweigleisig ausgeführt sein, da je nach Betriebsweise des Endlagers Konrad täglich bis zu drei Vollzüge mit Abfallgebinden vom Bereitstellungslager zum Endlager hin und leer wieder zurück transportiert werden müssen.“ Doch alle Strecken nach Würgassen sind zumindest teilweise nur eingleisig. Und schließlich ist Würgassen der einzige Standort von 29 untersuchten, bei dem der geforderte Abstand von 300 Metern zur Wohnbebauung nicht eingehalten werden kann.
Was ist die Rolle des Ökoinstituts bei der Standortauswahl?
Das Öko-Institut hat lediglich die Anwendung der Standort-Kriterien überprüft, aber keine Aussage über die Sicherheit und Eignung der Halle getroffen. Das Institut stellt außerdem fest, dass einige der Anforderungen derzeit nicht nachgewiesen oder vollständig belegt sind.
Warum wird das Lager nicht direkt an Schacht Konrad gebaut?
Bei einem Bau des neuen Atommüll-Lagers direkt am Schacht Konrad müsste das Genehmigungsverfahren dort neu aufgerollt werden. Da Schacht Konrad aber nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht, könnte das dazu führen, dass das ganze Projekt seine Genehmigung verliert. Die BGZ schreibt: „Am Endlager Konrad ist laut Planfeststellungsbeschluss kein Bereitstellungslager vorgesehen“. Ein schlechtes Argument, denn das gilt für Würgassen ebenso. Es braucht also in jedem Fall ein neues Genehmigungsverfahren. Der Unterschied ist, dass bei Schacht Konrad in einem neuen Verfahren auch die Genehmigung des ganzen tiefengeologischen Lagers auf dem Spiel stehen würde, weil das Bergwerk nicht sicher genug ist und die Planungen völlig veraltet sind. Unterm Strich ist die Auslagerung des Zwischenlagers nach Würgassen der verzweifelte Versuch, das ungeeignete Projekt Schacht Konrad zu retten.
Was bedeutet ein zentrales Atommüll-Lager für die Anzahl der Atomtransporte?
Da der Müll nicht direkt nach Schacht Konrad gebracht wird, sondern Würgassen als Zwischenstation hinzukommt, werden etwa doppelt so viele Transporte nötig sein wie ursprünglich geplant. Nach Angaben der BGZ sind täglich bis zu 20 LKW-Transporte und bis zu zehn Züge geplant.
Was ist über die Transportstrecken bekannt?
Die Transporte sollen bevorzugt in Güterzügen erfolgen. Für den Antransport über die Schiene werden Atommüll-Züge aus allen Himmelsrichtungen nach Würgassen rollen. Für den Abtransport sollen zwischen Würgassen und Salzgitter häufig reine Atommüll-Züge unterwegs sein. Die genaue Streckenführung wird nicht festgelegt. Eine mögliche Strecke dafür wäre über Uslar, Northeim, Bad Gandersheim, Seesen und Salzgitter-Bad. Alternativrouten führen über Höxter, Holzminden, Stadtoldendorf nach Gandersheim oder über Hameln und Hildesheim.
Welche Gefahren drohen beim Transport und bei der Lagerung?
Beim Transport kann es zu Unfällen kommen, bei denen radioaktive Stoffe freigesetzt werden. Bei den vorgesehenen häufigen Transporten über Jahrzehnte kommt es für die Bevölkerung vor Ort selbst ohne jede Panne zu einer Strahlungsbelastung in unmittelbarer Nähe von LKW und Zügen mit Atommüll: an der Schranke, an der Ampel oder längere Zeit hinter einem Laster im Stau stehend.
Bei der Lagerung besteht ebenfalls die Gefahr von Unfällen durch falsche Handhabung, außerdem können die Behälter undicht werden. Bei für Schacht Konrad bestimmten Behältern wurden bereits zahlreiche Mängel festgestellt, von Korrosion über defekte Dichtungen und Lackschäden bis hin zu gewölbten Deckeln durch Überdruck. Sowohl während des Transports als auch bei der Lagerung sind Terrorangriffe möglich. Details des Sicherungskonzeptes werden aus Sicherheitsgründen nicht genannt. Bekannt ist aber, dass das Zwischenlager nicht gegen Flugzeugabstürze gesichert sein wird, da dies im Genehmigungsverfahren nicht gefordert wird.
Kann das Projekt „Schacht Konrad“ noch scheitern und welche Auswirkungen hätte das für das zentrale Atommüll-Lager in Würgassen?
Schacht Konrad ist ungeeignet für die dauerhafte Lagerung von Atommüll, weil das Konzept längst nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht. Deshalb ist denkbar, dass das dortige Lager nie in Betrieb gehen wird. Wenn die Halle in Würgassen aber gebaut ist, kann man nicht ausschließen, dass diese trotzdem als zentrales Lager benutzt wird – mit offenem Ende.
Was passiert mit den derzeitigen Zwischenlagern an den anderen Standorten?
Die BGZ will die anderen Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktiven Müll möglichst schnell räumen. Daran hat sie auch ein finanzielles Interesse, denn der Betrieb eines einzigen Zwischenlagers ist günstiger als viele.
Außerdem gibt es an einigen Standorten, an denen der Müll jetzt lagert, eine Menge Druck, diesen abzutransportieren. Den Menschen dort wird schließlich seit Jahren erzählt, dass sie den Müll bald los sind, wenn Schacht Konrad 2027 in Betrieb geht.
Wer ist die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ)?
Die BGZ ist eine 2017 neu gegründete staatliche Gesellschaft und betreibt inzwischen die meisten Zwischenlager für schwach-, mittel- und auch hochradioaktiven Atommüll in Deutschland. Sie wurde gegründet, weil der Atommüll in den letzten Jahren von den AKW-Betreibern an den Staat übergegangen ist. Die Mitarbeiter*innen der BGZ stammen zum größten Teil aus der Atomwirtschaft. Sie schätzen die Gefahren des Atommülls entsprechend gering ein.
Im Gesetz steht „Bereitstellungslager“. Jetzt ist von einem „Logistikzentrum“ die Rede. Was ist der Unterschied?
Das geplante „Logistikzentrum“ ist das im Entsorgungsübergangsgesetz von 2017 erwähnte „zentrale Bereitstellungslager“ bzw. „Eingangslager“ – unter anderem Namen. Da hat die PR-Abteilung der BGZ eine möglichst unverfängliche Bezeichnung gesucht, die verschleiern soll, wie viel Atommüll tatsächlich für lange Zeit in Würgassen lagern wird.
Wie wird das zentrale Atommüll-Lager finanziert?
Die Investitionskosten für das neue Atommüll-Lager werden nach Angaben der BGZ etwa 450 Millionen Euro betragen. Dazu kommen die Betriebskosten über Jahrzehnte und die Kosten für die An- und Abtransporte. Die Kosten der Atommüll-Lagerung bis Ende des Jahrhunderts werden vom Wirtschaftsministerium aktuell aber auf 169 Milliarden Euro geschätzt. Die AKW-Betreiber haben einmalig 24 Milliarden in einen Fonds eingezahlt und sind die Verantwortung damit los. Was nicht aus dem Fonds bezahlt werden kann, zahlen die Steuerzahler*innen.
Welche Art von Öffentlichkeitsbeteiligung ist vorgesehen?
Nur bei der Umweltverträglichkeitsprüfung kann die Öffentlichkeit Stellungnahmen abgeben. Das bedeutet aber nicht, dass ihre Einwände und Bedenken am Ende berücksichtigt werden müssen.
Warum wurden die Planung und die Standortauswahl für das zentrale Atommüll-Lager so intransparent organisiert?
Die BGZ wollte Unruhe an potenziellen Standorten vermeiden und hat so letztendlich viel Vertrauen verspielt. Wenn eine staatliche Gesellschaft noch nicht einmal Kommunalpolitiker*innen vertraut, dann ist ihr nicht zu trauen.
Wie lässt sich das Projekt verhindern?
Wenn sich viele Menschen aktiv und mit langem Atem einmischen, besteht durchaus die Chance, die Pläne für das Atommüll-Lager zu stoppen. In der Geschichte der Anti-Atom-Proteste in Deutschland sind schon einige Projekte verhindert worden, weil sich viele Leute dagegen engagiert haben, mit phantasievollem Protest und mit Sachverstand.
Was ist die Alternative zum zentralen Atommüll-Lager in Würgassen?
Da Schacht Konrad ungeeignet für die sichere Lagerung für eine Million Jahre ist, sollte dieses Projekt besser früher als später aufgegeben werden. Dann macht aber auch das Lager in Würgassen keinen Sinn mehr. Es braucht eine ganz neue gesellschaftliche Verständigung für den Umgang mit allen Arten von Atommüll auf Grundlage des aktuellen Stands von Wissenschaft und Technik. Erst wenn diese gelungen ist, macht es Sinn, über Standorte zu reden. Außerdem sollte die Produktion von immer mehr strahlenden Abfall in den sechs noch laufenden AKW sofort beendet werden.