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Reise zum sichersten Ort der Erde (Filmkritik)

(Di., 24.03.15/ UT) Ein Monster ist mitten unter uns und es lässt sich nicht einfangen. Die Rede ist von Atommüll. Die Geschichte der Atomthematik sei so groß, so stark mit Macht behaftet, sagt der Dokumentarfilmer Edgar Hagen, „dass ich mich darin immer ohnmächtig erlebe.“ Mit der Frage: „Wie kann ich mich in der Auseinandersetzung mit dieser Thematik aus der Ohnmacht befreien“, ist er bis ans Ende der Welt gereist: in abgeschottete Gebiete, Zeitdimensionen von hunderttausenden von Jahren, Kontrollsysteme bewacht von Polizei und Militär – eine abgekapselte, geheime Welt inmitten unserer Gesellschaft. Herausgekommen ist mit „Die Reise zum sichersten Ort der Erde“ ein unprätentiöser Film, fern jeder plakativen Konfrontation und moralischen Bewertung.

Als Reisebegleiter und Protagonist seines Films gewinnt der Atomkritiker Hagen den, in der Schweiz lebenden, schottischen Atomphysiker Charles McCombie. McCombie ist ein überzeugter Befürworter der zivilen Nutzung der Atomenergie und damit ein Widersacher von Hagens eigener Position. Zu Beginn zeigt der Film den renommierten Endlagerspezialisten McCombie als freundlich lächelnden, älteren Herrn auf einem Ledersofa sitzend. Seit nunmehr 35 Jahren fahndet er nach Jahrtausende sicheren Standorten für hochradioaktiven Müll. Für den Film gewähren er und seine Expertenkollegen dem Regisseur Einblick in ihre unermüdliche Suche.

Die Reise führt in die Wüste Gobi. In einer dünnbesiedelten Region hofft der Geologe Ju Wang, den sichern Ort für Chinas Atommüll entdeckt zu haben. USA: Die ehemalige Atombombenschmiede Hanford Site (Washington State) wird in Betracht genommen; auch  Yucca Mountain, ein heiliger Berg in einem atomverseuchten Indianerreservat, steht zur Debatte und scheitert; McCombies Weggefährte, der Geophysiker Wendell Weart hat in New Mexico inmitten von Ölfeldern ein vermeintlich sicheres Tiefenlager für schwachaktiven Müll und Transurane gefunden. Sein Traum, hier auch hochaktive Abfälle unterzubringen, scheint inzwischen ebenfalls zerplatzt, nachdem aus noch ungeklärten Gründen eine Atommüllladung auf dem Gelände explodierte.

Flach muss das Land sein, ohne tektonische Veränderung, so die Überlegungen des Geologen David Pentz, dem Erfinder des Pangea-Projekts. Mit seinen Pangea-Partnern McCombie und dem Briten Gregg Butler findet er ein entsprechendes Gebiet in der Steppe Australiens. Sollte das der Ort sein, wo Atommüll aus aller Welt untergebracht werden kann? Doch das Projekt scheitert im Vorfeld. Das atomfreie Australien denkt nicht daran, diesen Atommüll aufzunehmen. – Freiwillig bereit für ein schwedisches Atommüllprojekt ist die Gemeinde Östahammar. Bedingung: Die Sicherheit muss für 100.000 Jahre nachgewiesen sein, was sich im nassen Granit schwierig gestalten wird. Johan Swahn, Direktor der schwedischen Atommüllaufsicht ist skeptisch. Er sagt: „Wenn wir nicht sicher sind, dann sollten wir keine unwiderruflichen Tatsachen schaffen.“ Bis dahin dürfe der Müll nicht so entsorgt werden, dass er nicht mehr zugänglich sei.

Und McCombie? Zwischen all denen, die Probleme gern verharmlosen und vertuschen, gehört der Atomkraftbefürworter immerhin zu denen, die ernsthaft nach einem sicheren Ort suchen und  Probleme offen ansprechen. Die Wüste Gobi, so McCombie, sei nicht per se ein sicherer Ort, nur weil er kaum besiedelt sei. Wenn sich herausstellt, dass er ungeeignet sei, dann müsse er aufgegeben werden und die Suche von vorn beginnen, egal wieviel Geld bereits ausgegeben wurde. Als er das sagt, gleicht er ein bisschen jenem Märchenhelden, der auszog, den Weltzustand ins Lot zu bringen. Am Ende scheitert er doch, weil er sich im realen Leben befindet und der sicherste Ort, der ihn in 35 Jahren bis ans Ende der Welt geführt hat, doch Fiktion geblieben ist.

Edgar Hagen hat einen Film der leisen Töne geschaffen. In einer klaren fast poetischen Sprache erklärt er die Sachverhalte. Ruhige Bilder, Landschaftsaufnahmen von ästhetischer Schönheit, immer wieder gebrochen von der Musik Tomek Kolczynskis, den Paukenschlägen, wenn erneut eine Suche scheitert. Ein Film der Fragen aufwirft, mit denen wir an die Grenzen unserer eigenen Welt stoßen. Atommüll, ein Monster, das von wenigen geschaffen wurde, doch wie es gezähmt wird, wird letztlich eine Frage der gesellschaftlichen Auseinandersetzung sein. Hier stehen wir am Anfang. Die Sprache dafür muss erst noch gefunden werden.

Antonia Uthe