(10-10-08/Di.)** Am Freitag, dem 10. Oktober hatte die GRÜN-nahe Stiftung Leben&Umwelt Niedersachsen zu einer Tagesveranstaltung nach Braunschweig geladen, um die Faktenlage zur ASSE II zu sichten.
Große Übereinstimmung herrschte zwischen allen Referenten, dass die Stabilisierung des Grubengebäudes eine wichtige Voraussetzung für jedes weitere Vorgehen ist. Viele Fragen offen ließ indes Dr. Ulrich Kleemann für den neuen Betreiber, kündigte allerdings an, dass die Kabinettsentscheidung über den Betreiberwechsel nochmals verschoben worden sei (jetzt 22.10.). Der alte Betreiber, obgleich anwesend, verzichte gleich ganz auf einen Beitrag. Mit einer langen Liste offener Fragen endete die Veranstaltung auch. Die präsentierte der GRÜNE Landtagsabgeordnete Stefan Wenzel als Ergebnis (!) der bisherigen Unterrichtung des Umweltausschusses im Niedersächsischen Landtages. Die Beiträge der Veranstaltung sollen zusammengefasst und ins Internet gestellt werden und können bei der Böll-Stiftung angefordert werden.
Stabilisierung des Grubengebäudes als wichtiger Zwischenschritt
Dr. Peter Jordan (Foto) von der Bochumer CDM referierte seine Ergebnisse zu der Frage, ob und wie das Grubengebäude stabilisiert werden kann. Über der bisherigen Auseinandersetzung schwebte ja als Damoklesschwert die Jahreszahl 2014. Das Leipziger Institut für Gebirgsmechanik war im Rahmen einer fortlaufenden Begutachtung zu dem Ergebnis gekommen, dass die „Resttragfähigkeit“ des Grubengebäudes ohne Flutung und „pneumatischen Stützversatz“ ab 2014 spürbar nachlassen werde. Jordan erläuterte, dass der Berechnung bewusst eine ungünstige (d.h. wissenschaftlich „konservative“) Entwicklung zu Grunde gelegt worden war, die in der Realität allerdings nicht eingetreten sei.
Gleichwohl bestehe das Problem fort. In der Südflanke, in der der Salzabbau bis nahe an die Grenze des Salzstockes betrieben worden war, drücke das Deckgebirge auf den Salzstock und „fließt“ in das Salz. Dies sei v.a. deshalb möglich, weil sich hier vom Abbau gigantische Hohlräume befänden. Die waren zwar in den 90er Jahren verfüllt worden, indem Salzgrus hineingeblasen wurde, die Hohlräume zwischen dem körnigen Salzgrus machten aber noch immer 42% des Gesamtvolumens aus. Der Salzgrus habe sich mittlerweile abgesetzt, sodass sich an der Decke der einzelnen Kammern ein Hohlraum von 20 - 60cm („Firstspalt“) gebildet habe.
Die Verfüllung der Südflanke zur Stabilisierung des Grubengebäudes sei zwar notwendig gewesen und habe den Druck reduziert, sie habe aber viel zu spät stattgefunden und mit den falschen Mitteln.
Jordan schlug als Ergebnis seiner Arbeit zwei Maßnahmen vor: Zunächst eine Verfüllung der Firstspalte in den einzelnen Kammern mit Salzbeton, wie er auch zur Notverfüllung des Endlagers in Morsleben eingesetzt wird. Danach sollen Bohrungen in die einzelnen Kammern gebracht werden, um hier ebenfalls Salzbeton einzuspritzen; Jordan sprach von „Verdichtungsinjektionen“. Ziel ist, den umgebenden Salzgrus zu kompaktieren und so zu einer Druckentlastung zu kommen. Jordan veranschlagte für die Maßnahmen 3 Jahre Zeit und etwa 20 Mill. €. Ohne dies allerdings, so Jordan unmissverständlich an die Adresse der Politik, könne man sich jede weitere Diskussion über unterschiedliche Schließungsoptionen sparen.
Betreiberwechsel verzögert sich weiter
Für den avisierten neuen Betreiber, das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS), sprach nicht wie angekündigt dessen Präsident Wolfram König, sondern Dr. Ulrich Kleemann. Hatte Moderator Rainer Fleßner (NDR) eingangs auf die großen Erwartungen hingewiesen, die sich für viele Menschen mit dem Betreiberwechsel verbinden, wollte Kleemann nicht zu viel versprechen und hielt Wort. Gerade am Morgen habe er von Bundesumweltminister Gabriel in Morsleben gehört, dass sich der Betreiberwechsel weiter verzögere; wie die Braunschweiger Zeitung tags darauf mit Verweis auf Regierungskreise berichtete, auf Druck des Bundeswirtschaftsministeriums.
Zwar sei das BfS noch nicht Betreiber, beschäftige sich aber als Fachbehörde seit geraumer Zeit mit den Problemen. So sei das von Dr. Jordan vorgestellte Gutachten zur Stabilisierung vom BfS initiiert worden und ein weiteres Gutachten habe gezeigt, dass zumindest der Mittelaktive Müll, der in einer Kammer auf der 511m Sohle liegt, technisch zurück geholt werden kann. Auch die Rückholbarkeit des „schwachaktiven“ Mülls auf der 750m-Sohle schloss Kleemann nicht grundsätzlich aus; immerhin liegen hier die langfristig gefährlichen Stoffe und - wie der Physiko-Chemiker Prof.Dr. Rolf Bertram anmerkte, ein ganz gefährlicher Cocktail aus Stoffen, bei denen es nicht nur um Radioaktivität, sondern auch Toxizität gehe.
Ob das BfS denn bereit sei, zu untersuchen, was denn eigentlich alles in der ASSE II eingelagert sei, wollte Kleemann sich nicht festlegen. Jetzt sei nicht die Zeit dafür, wenn man den Müll rausholen wolle, müsse man es jedenfalls tun. Aber einstweilen sei das alles ja noch offen.
Optionenvergleich ? - Was für Optionen ?
Über die Arbeit der sog „Arbeitsgruppe Optionenvergleich“ hatte zu Beginn der Veranstaltung der Geologe Jürgen Kreusch berichtet. Sie besteht seit Anfang 2009 und ist teil eines sog, „Begleitprozess“, mit dem die Bundespolitik auf die gewachsene Kritik vor Ort reagiert hatte. Kern dieses Prozesses ist eine Begleitgruppe beim Landkreis Wolfenbüttel aus Kreisverwaltung, Fraktionen, Samtgemeinden und Bürgerinitiativen, die die regionalen Interessen koordinieren soll. Als zweites kam die wissenschaftliche Arbeitsgruppe Optionenvergleich unter Leitung des Kernforschungszentrum Karlsruhe hinzu, in der neben dem BfS auch drei kritische Wissenschaftler mitarbeiten (Jürgen Kreusch, Ralf Krupp, Rolf Bertram). Kreusch wies darauf hin, dass dabei aber von einem Vergleich aller Schließungsoptionen, wie er ursprünglich von KommunalpolitikerInnen gefordert worden war, bisher keine Rede sein konnte. Nach einer vorgegebenen „Agenda“ seien Gutachten bewertet worden, die sich hauptsächlich mit dem Status quo und dem alten Flutungskonzept beschäftigten. Der eigentliche Optionenvergleiche stehe noch aus und sei im Rahmen der auf 2008 befristeten Arbeit nicht zu leisten. Für eine Betrachtung der Vor- und Nachteile der Schließungsoptionen (nass, trocken, Rausholen des Atommülls) müsse man von etwa 2 Jahren ausgehen und soviel Zeit müsse man sich nehmen und könne dies auch, angesichts der von Dr. Jordan ausgearbeiteten Stabilisierungsmaßnahmen: Sorgfalt müsse hier vor Geschwindigkeit gehen und der richtige Zeitpunkt sei jetzt.
Der kritische ASSE-II-Koordinationskreis hatte bereits in der vergangenen Woche gefordert, die Arbeitsgruppe Optionenvergleich als unabhängige Beratungskapazität mit einer Fachkoordination beim Landkreis Wolfenbüttel weiterzuführen.
So konkret mochte Kleemann nicht werden, natürlich müsse der Begleitprozess weitergehen, aber wer wann einen Optionsvergleich durchführen und bewerten soll, ließ er offen. Statt dessen drohte er mit dem Allheilmittel der Akzeptanzförderung seit den 70er Jahren, einer Infostelle.
Sprengstoff ? - Wieso Sprengstoff ?
Gänzlich ratlos machte Kleemann die Frage eines Teilnehmers nach dem Umgang mit Sprengstoff in ASSE II. Sprengstoff ? - Das wisse er gar nicht, ob es auf der Anlage Sprengstoff gäbe, wenn, dann sei er sicherlich verschlossen.
Hintergrund der Frage war ein Hinweis von Kleemann gewesen, dass das alte Flutungskonzept nicht völlig vom Tisch sei. Käme es zu akut bedrohlichen Situationen könne es durchaus notwendig werden, die Anlage als Maßnahme der Gefahrenabwehr gezielt zu fluten.
Das sowas durchaus passieren kann, sieht man im Endlager Morsleben. Dort stürzten 2001 in einer Kammer 5.000 t Gesteinsmassen („Löser“) von der Decke, was dann zum Anlass für eine Notverfüllung genommen wurde, die 2003 begann. Ursache für den Vorfall war eine mit einer „Warnschießanlage“ gezielt herbeigeführte Sprengung; Betreiber in Morsleben ist das Bundesamt für Strahlenschutz.
Der Vorhang zu und alle Fragen offen ?
Abschließend präsentierte der GRÜNE Landtagsabgeordnete Stefan Wenzel eine Liste, der nach seiner Ansicht nach wie vor offenen Fragen. Und die war nicht gerade kurz. Offen sei weiterhin die Frage, was eigentlich wirklich in der ASSE II liegt, die Fragen der Verantwortlichkeiten in der Vergangenheit, v.a. aber auch, welche Konsequenzen für die Zukunft gezogen würden. Hier verwies Wenzel v.a. auch das Endlager-Symposium, zu dem BMU Gabriel für den 30.10. - 01.11. nach Berlin einlädt, in der die Erfahrungen mit ASSE II aber prktisch nicht auftauchen.
Die Beiträge der verdienstvollen Veranstaltung sollen zusammengefaßt, ins Internet gestellt werden und können bei der Stiftung Leben & Umwelt (HBS-Niedersachsen) angefordert werden. E-Mail: info@slu-boell.de | Homepage: www.slu-boell.de