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Der Atomstrom der aus Frankreich nach Deutschland fließt – eine Mogelpackung

Seit Wochen wird wieder Stimmung in verschiedenen (Leit-)Medien gegen die Abschaltung der AKW in Deutschland gemacht. Die Leserschaft bekommt suggeriert, dass Deutschland Strom aus dem Ausland importieren müsse, um die Stromversorgung im Land aufrechtzuerhalten, ist dem so? Und wie funktioniert der Strommarkt in Europa?

(22.09.2023/ Dieter Kaufmann, Arbeitskreis gegen Atomanlagen Frankfurt am Main) "Das Problemkind Europas bei der Stromversorgung ist eindeutig Frankreich", sagt Bruno Burger, Energieexperte am Freiburger Fraunhofer Institut. Der französische Dauerimport ist negativ für Deutschland, weil das europäische Angebot sinkt. Das bedeutet für Endkunden höhere Strompreise. "Frankreich importiert seit Jahren mehr Strom aus Deutschland, als dass es exportiert." Burger wertet auf der Seite energy-charts.info die täglichen Importe und Exporte europäischer Länder aus. Mit Daten von ENTSO-E, die wiederum Daten der Börsen beziehen.

Seine Graphen zeigen, dass Frankreich mindestens seit 2015 mehr Strom aus Deutschland importiert, als es exportiert. Die Versorgungssicherheit der AKW in Frankreich ist in normalen Zeiten bei 66 Prozent im Jahr. Die niedrigste Verfügbarkeit von AKW weltweit. Wie lange die Rost-Atommeiler ausfallen und ob noch weitere wegen Korrosionsproblemen oder Wassermangel von der zunehmenden Dürre gestoppt werden, kann der AKW-Betreiber EDF nicht sagen.

Trotzdem hält sich im Nachbarland und auch in deutschen Diskussionen hartnäckig die Annahme, Deutschland müsse französischen Atomstrom nutzen. Diese Behauptung fußt häufig auf Graphen, die Stromflüsse von Frankreich nach Deutschland zeigen – nicht aber den tatsächlichen Stromeinkauf.

Bruno Burger beobachtet diese Falschinformation schon seit Jahren – sowohl statista.de als auch das Statistische Bundesamt und zahlreiche Beiträge auf Social Media verwechselten immer die Stromflüsse mit dem Stromhandel. "Es kommt nur darauf an: Wer hat den Strom verkauft, und wer hat ihn gekauft?" Wenn jemand mit Rotwein in Frankreich losfährt und dann diesen über Deutschland in die Schweiz bringt, dann ist das auch kein Rotwein für Deutschland. Aber genau auf diese Weise würden die Stromflüsse fehlinterpretiert: Der französische Strom fließt zwar durch deutsche Leitungen, wird aber über die Schweiz nach Italien geführt.

Wir haben neu eine deutsche Presse, die fast nie mehr kritisch hinterfragt, sondern die Nachricht einfach raus haut in Zeiten von Internet. Je dramatischer wie Blackout umso besser. Das liberale Strommarktgeschehen (Ironie) haben Union, FDP, Wirtschaftswissenschaften und Unternehmen selber installiert und heute „vergessen“. Wer von billigem Atomstrom aus Frankreich babbelt, vergisst, dass der Atomstrom dauerhaft in Frankreich sehr hoch subventioniert ist. Die bezahlen das dort über andere Steuern sowieso. Beiderseits des Rheines wird verbal gemogelt, dass sich die Balken biegen.

Frankreich muss sein Energiesystemmittelfristig mehr auf Erneuerbar umkrempeln. Wer Frankreich kennt weiß, dass dies einen langen Atem braucht, und sehr viele neue gallische Dörfer notwendig sind!

Stromhandel in Europa mit 36 Staaten und 43 Netzbetreiber

Bis 1998 hatten wir einen Strommonopolgebietsmarkt nach dem Energiewirtschaftsgesetz von 1935 fast unverändert. 1999 hat die CDU/FDP Bundesregierung die EU Beschlüsse umgesetzt. Ab da einen „liberalisierten“ EU-Strommarkt. Ab 2009 die ENTSO-E. Die Ukraine und Türkei sind „Beobachter“.

Handel mit Strom

Auf Spotmärkten(Tagesgeschäft) finden kurzfristige Käufe und Verkäufe statt, zum Beispiel von heute für morgen oder sogar noch für denselben Tag. Das passiert an Strombörsen"EPEX" in Paris und Oslo.

Langfristige Verträgewerden aufTerminmärkten vereinbart, da geht es um Stromverträge mit vielen Jahren Vorlauf. Die Strombörse Leipzig ist zuständig, die "European Energy Exchange" (EEX). Die Grundversorger handeln in der Regel Stromverträge für zwei Jahre in die Zukunft aus. Große Energieverbraucher sind daran beteiligt.

Der Intraday-Handel von Strom findet sowohl an Spotmärkten wie der EPEX Spot (Spotmarkt der European Power Exchange) in Paris und bei Nordpool in Oslo statt als auch im OTC-Handel (Over-the-Counter).Das sind außerbörslich ausgehandelte Verträge zwischen Beteiligte am Stromhandel. Wie der Day-Ahead-Handel findet der Intraday-Handel anonymisiert und an jedem Tag im Jahr statt. Strom aus Fossilen sowie aus erneuerbaren Energien wird gleichwertig und ohne Nachweis der jeweiligen Stromherkunft gehandelt.

Die Stromversorger legen den Strompreis nach eigenem Ermessen fest. Preis für den Strom, für den Vertrieb, die Verwaltung, Beträge für Stromleitungen, staatliche Beträge wie Steuern, Netzentgelte, Umlagen usw. Die „stromfremden“ Kosten machen die Hälfte derStromkosten aus. Dazu kamen bis zur Abschaffung der EEG-Umlage 2022 mindesten fünf Mrd. Euro zum Ausgleich der energieintensiven Unternehmen, wie Stahlkocher, Aluminiumwerke, Chemieanlagen usw. Das bezahlten nur die Stromkunden. Heute zahlendieenergieintensiven Firmenkeine Stromsteuern. Sie werden ihnen erlassen.

Das „Merit-Order-Prinzip“.Das hat zwei wesentliche Funktionen.Zum einen stellt das Prinzip sicher, dass zunächst die jederzeit günstigsten Kraftwerke eingesetzt werden, das sind die Anlagen für erneuerbare Energien, danach Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke. Am teuersten sind Erdgaskraftwerke. Das war schon immer so. Erdgas ist nur für kurzfristigen Spitzenbedarf gedacht. Das wird schnell ein und ausgeschaltet.

Zum anderen schafft das "Merit-Order-Prinzip" Anreize, in besonders effiziente Kraftwerke, wie in Erneuerbare Energien zu investieren. Diese werden durch den rasanten technologischen Fortschritt weltweit immer billiger. Das „übersehen“ die Atombefürworter einfach. Die sehr hohen Subventions-, Investitions- und Rückbaukosten von AKW bilden sich im Merit-Order-Wirtschaftsmodell nicht korrekt ab.

Dieter Kaufmann, Arbeitskreis gegen Atomanlagen Frankfurt am Main, Stand 22.09.2023

 


Allgemeine Erläuterungen:

Wir bekommen Strom aus Norwegen, Dänemark (Erneuerbare Energien) und geben im Winter Strom weiter an alle Länder an unseren Grenzen. Das wären Polen, Tschechien, Österreich, Schweiz, Belgien, Niederlande und andere. Atomstrom aus Frankreich leitet Deutschland nach Österreich, Schweiz, die den Atomstrom unter Umständen auch weiterleiten z. B. nach Italien oder Tschechien und andere Mitteloststaaten. https://www.energy-charts.info/charts/import_export/chart.htm?l=de&c=DE

Verwendete Quellen und Hinweis auf Informationen:

Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber
https://de.wikipedia.org/wiki/Verband_Europ%C3%A4ischer_%C3%9Cbertragungsnetzbetreiber#cite_note-Members-1

ENTSO-E Mitgliedsunternehmen
https://www.entsoe.eu/about/inside-entsoe/members/

Europäische Übertragungsnetzbetreiber (ETSO)
https://www.entsoe.eu/news-events/former-associations/#european-transmission-system-operators-etso

VERORDNUNG (EG) Nr. 714/2009 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
vom 13. Juli 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung  der Verordnung (EG) Nr.  1228/2003 (Text von Bedeutung für den EWR)
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R0714

Energiesektor in Frankreich: Der Preistreiber Europas

Die Zeit, Annika Joeres – 03.08.2022 (Sie lebt in Südfrankreich und schreibt gute Artikel.)
https://annika-joeres.de/ueber-mich/

https://www.zeit.de/politik/ausland/2022-08/deutschland-frankreich-atomstrom-energie-stromhandel#comments

Börsenstrompreis
https://www.energy-charts.info/charts/price_average_map/chart.htm?l=de&c=DE

Grenzüberschreitender Stromhandel zwischen Deutschland und seinen Nachbarländern in 2023
https://www.energy-charts.info/charts/import_export/chart.htm?l=de&c=DE
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