Von Äpfeln und Birnen | Stellen Sie sich vor, Sie sind auf dem Markt, verlangen ein Kilo Äpfel und Ihre Marktfrau zückt ein Maßband um die Äpfel zu vermessen. Vielleicht packt sie auch Birnen statt Äpfel in die Waagschale, denn schließlich ein Kilo ist ein Kilo. Würden Sie nicht zurecht am Verstand Ihrer Marktfrau zweifeln?
Dabei ist genau das die Marktstrategie der Atompolitik. Gefährlich sind die hochaktiven Stoffe, sagen sie. Als seien diese gewissenmaßen die Leistungsportler unter den strahlenden Substanzen. Die andern dagegen, die weniger Aktiven, werden ob ihrer Trägheit mit Geringschätzung oder gar nicht erst beachtet. Jedenfalls nicht, wenn es um neue Sicherheitskriterien und Standortauswahl geht. Das Bundesamt für Strahlenschutz propagiert beispielsweise, für Schacht KONRAD seien nur 0,1 Prozent Aktivität vorgesehen. Und sogar der Niedersächsische Umweltminister Wenzel blies jüngst ins gleiche Horn, als es um das Standortauswahlgesetz ging. Er sprach von „nur einem Prozent Inventar“, das ausgeklammert wird, wenn man die hochaktiven Leistungsträger betrachtet. Das fällt dann überhaupt nicht ins Gewicht. - Irgendwie, wie im richtigen Leben.
Doch „Halt!“ wird da Ihre Marktfrau rufen, denn sie ist bei Verstand und kennt sich aus mit Qualitäten. Auch wenn sie vielleicht nichts anfangen kann mit Messgrößen wie Becquerel und Millisievert, so weiß sie doch, was ein Unterschied ist. Sie wird verstehen, dass die Aktivität (Zerfallsgeschwindigkeit von Atomkernen) ebensowenig zur Messlatte für gesundheitsschädliche Wirkung taugt, wie der Kaloriengehalt ihrer Äpfel und Birnen. Denn sie weiß, dass jedes Ding seine persönlichen Zusammensetzungen und Eigenarten hat.
Bei den Radionukliden ist es auch nicht anders als im richtigen Leben. Gerade die Trägen, die Unbeachteten sind keineswegs harmlos, sondern bergen so ihre ganz eigenen Radiotoxizitäten (schädliche Wirkungen der Radionuklide). Ob Alpha- oder Betastrahler, ob Plutonium oder Tritium, sie gelangen über Nahrung, Wasser und Luft in unsere Körper. Weil sie jedoch so träge sind und sie keiner beachtet, reichern sie sich ungehindert in den Organen an und treiben dort ihr Unwesen.
Und Ihre Marktfrau? Sie wird sich fragen: Wenn diese Dinge tatsächlich so ungefährlich sind, warum werden dann soviele Milliarden ausgegeben, für die ASSE, für den Ausbau von Schacht KONRAD. Wäre die Hausmülldeponie da nicht billiger?
Antonia Uthe