Der Wiedereinzug ins Paradies
Ein Atomkraftwerk wird meistens in eine idyllische Landschaft gebaut. Was macht das schon aus, da es sich dabei ohnehin um eine Anlage von begrenzter Haltbarkeit handelt. Ein paar Jahrzehnte lässt sich damit Geld verdienen, viel Geld! Und die Anwohner bekommen auch etwas ab. Wenn das Ding dann marode ist, oder die Laufzeit zu Ende, wird es einfach wieder zurückgebaut. Eine „Grüne Wiese“ wird uns versprochen, als sei nie etwas gewesen, außer dass alle ein bisschen reicher geworden seien.
Eine grüne Wiese, womöglich an einem klaren Flusslauf, mit duftenden Blumen gilt als einer jener Orte, die der Dichter Ovid als „locus amoenus“, als lieblichen Ort, bezeichnete. Ein Sehnsuchtsort also, voller Liebe und Frohsinn. Gerade in Ferienzeiten suchen diejenigen, die es sich leisten können, gerne die schönsten Flecken dieser Welt auf, um dem tristen Alltag eine Weile zu entfliehen. Dabei werden diese Plätze immer seltener. Sie fallen einem Wirtschaftswachstum zum Opfer, das mit ungeheurem Appetit eines dieser Plätzchen nach dem anderen verschlingt.
In alten Zeiten, so steht es geschrieben, soll die ganze Erde einmal ein Paradies gewesen sein. Ich hege jedoch meine Zweifel, ob die Menschen wirklich daraus vertrieben wurden, oder ob sie es nicht einfach nur wegindustrialisiert haben, so nach und nach. Da scheint das Versprechen des Betreibers tröstlich, dass irgendwann, wenn das Atomkraftwerk abgeschaltet sei, wenn die Anlagen zurückgebaut seien, wenn der strahlende Müll an einen anderen Ort gebracht werden könne und wenn das Zwischenlager kein Dauerlager geworden sei, dass dann einer Grünen Wiese nichts mehr im Wege stünde.
Doch was ist mit dem anderen Ort? Wird der nun stattdessen seinen paradiesischen Status verlieren? Was ist mit der Strahlung in Luft und Boden? Welcher Besen fegt sie auf? Und warum fällt mir jetzt bloß Schneewittchens Apfel ein, oder war es doch der aus dem Paradies? Fragen über Fragen. Allmählich beginne ich zu ahnen, was es bedeutet, wenn ein Rachegott dem Missetäter droht auch seine Kinder und Kindeskinder bis ins dritte und vierte Glied zu bestrafen. Wie harmlos nimmt sich dieser Rachegott gegen einen Atomkraftwerksbetreiber aus, dessen Missetaten sich auf hunderte Generationen auswirken, ganz ohne göttliches Zutun.
Möglich, dass es wieder eine grüne Wiese geben wird, vielleicht sogar Blumen. Aber dass sie zum gefahrlosen Aufenthalt wird, dass wieder paradiesische Zustände einziehen werden, kann hunderte Generationen dauern. Ein bisschen Geduld also.
Antonia Uthe