Befahrung des Endlagers Morsleben im Mai 2000
von Ursula Schönberger
(23.05.2000) Ruhig ist es geworden, im Atommüllendlager Morsleben. Kaum jemandem begegnet man mehr auf den langen und verzweigten unterirdischen Straßen der Grube. Konnte man vor 5 Jahren den Arbeitern bei der Einlagerung des strahlenden Mülls zusehen, müssen heute die beiden MitarbeiterInnen von der Öffentlichkeitsarbeit an den jeweiligen Lagerstätten erst einmal das Licht anmachen. Gearbeitet wird in der Grube nur im Einschicht-Betrieb, Montags bis Freitags von 8.00 Uhr bis 14.00, Aufgabe: Instandhaltung und Überwachung.
Was sich jedoch nicht geändert hat, ist der Tenor der Öffentlichkeitsarbeit: Eigentlich gibt es gar keine Probleme im Endlager. Nur mühsam wird auf Fragen wie nach den vagabundierenden radioaktiven Wassern und der immer wieder neuen Funde von unbekanntem Atommüll in der Grube eingegangen. Bei den höchst brisanten Fragen nach der Standsicherheit oder den Problemen mit dem Schließungskonzept gibt es nur ein Schulterzucken von Seiten der dbe (Deutsche Gesellschaft für den Bau und Betrieb von Endlagern). Dafür sei man nicht zuständig, da müsse man sich schon an das Bundesamt für Strahlenschutz wenden, aber daß es eine akute Gefahr für die Standsicherheit gäbe, glaube man eigentlich nicht.
Auch die Vertreterin des Bundesamtes für Strahlenschutz gibt auf konkrete Fragen keine konkreten Antwort. Zu erfahren ist nur, daß man sich im BfS weder einig ist, ob es eine vorgezogene Verfüllung zur Erhöhung der Standsicherheit geben, noch welche Schließungskonzeption denn verfolgt werden soll. Zu groß sind die Probleme mit dieser Altlast, als daß es auf die vielen Detailfragen bereits ausreichend Antworten gäbe. Im Moment sei geplant, im Jahre 2001 die Planunterlagen für die Schließung öffentlich auszulegen und bis 2005 einen Planfeststellungsbeschluß zu erreichen. Die tatsächlichen Schließungsarbeiten würden dann sicherlich bis 2020 dauern.
(Anmerkung: Das Bundesamt für Strahlenschutz ist als Behörde des Bundesumweltministeriums Betreiber des Endlagers und hat mit dem konkreten Betrieb die private dbe beauftragt.)
Der Besuch in Morsleben beginnt mit einer Stunde historischen und geologischen Vortrags. Das Salzbergwerk Morsleben mit den beiden Schächten Bartensleben und Marie hat bereits eine über hundertjährige Geschichte. Einst gehörte es dem selben Unternehmen, wie das Salzbergwerk ASSE, der Gewerkschaft Burbach. Während des 2. Weltkrieges wurden unterirdische Konstruktions- und Produktionsstätten für die Rüstungsindustrie im Bergwerk eingerichtet. Nach dem Krieg nutzte man die 25x25 Meter großen Kammern für die unterirdische Broiler(=Hühner)zucht. Bis heute stehen in Teilen des Schachtes Marie noch die Abwasser aus dieser Zeit.
In den Siebziger Jahren wurde Morsleben von der DDR als Lagerstätten für radioaktiven Müll ausgewählt. Es scheint, als habe es auf beiden Seiten BRD und DDR die Philosophie gegeben, Atommüllstätten an die Grenze zum Systemfeind zu bauen (immerhin liegt Morsleben nur 400 Meter hinter der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze). Daß allerdings radioaktiver Abfall länger strahlt, als politische Systeme bestehen, hatten die Verantwortlichen wohl nicht bedacht und so finden sich jetzt alle Projekte: Morsleben, Konrad, Asse II und Gorleben inmitten der heutigen Bundesrepublik Deutschland wieder.
Nach der deutsch-deutschen Vereinigung stand das Endlager in Morsleben drei Jahre still, weil die Anwältin Claudia Fittkow (Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD e.V.) vor dem Bundesverwaltungsgericht beklagte, daß der Einigungsvertrag, mit dem der Weiterbetrieb der Anlage parlamentarisch beschlossen worden war, kein geeignetes Rechtsinstrument sei, eine atomrechtliche Überprüfung nach bundesdeutschem Atomgesetz zu ersetzen. Das sah das Bundesverwaltungsgericht 1994 anders: Wenn der Gesetzgeber das so wolle, dann sei das schon rechtens. Für Bundesumweltminister Töpfer ein Freibrief, das explizit nur für Abfälle aus Ex-DDR-Anlagen genehmigte Endlager auch für Ex-BRD-Müll zu öffnen. Die Atomkraftbetreiber im Westen waren froh, hier ihren Abfall schnell und billig loszuwerden, die Sicherheitsbedingungen in dem Lager scherten dabei wenig. Als in schier grenzenlosen Gier dann aber auch noch mit dem weiteren Ausbau des Endlagers begonnen wurde, war dies dem Oberverwaltungsgericht Magdeburg dann doch zu viel. In einem Beschluß gab es im September 1998 dem BUND Sachsen-Anhalt recht, der beklagt hatte, das neue Ostfeld, das in der übernommenen DDR-Genehmigung nicht vorgesehen war, dürfe nicht ohne Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen eines atomrechtliches Planfeststellungsverfahren betrieben werden. Dieser Gerichtsbeschluß, erlassen am Freitag vor der letzten Bundestagswahl, führte zum Stopp der weiteren Einlagerung, einem Schritt, zu dem nach allen Erfahrungen die Politik vermutlich bis heute nicht in der Lage gewesen wäre. Heute allerdings spricht alles dafür, daß dies das endgültige Aus für den Betrieb von Morsleben bedeutet.
Die eigentliche Befahrung der Grube beginnt mit der Sicherheitskontrolle am mit NATO-Draht verstärkten Doppelsicherheitszaun (ausgebaut nach der deutsch-deutschen Einigung). Dann heißt es umziehen und mit Dosimeter, Grubenlampe und Atemschutz-Rettungsgerät ausstatten, bevor es mit dem Aufzug auf 500 Meter Tiefe geht. Unten, auf der 4. Sohle geht es weiter mit einem Diesel-Fahrzeug zuerst zur Versturzstelle für mittelradioaktive Abfälle. Hier wurde, teilweise mit, teilweise ohne die bekannten gelben Rollreifenfässer mittelaktiver Abfall in zwei Kammern unterhalb des Fußbodens gekippt. Nach 1990 immerhin zwischen 200 und 300 Kubikmeter, obwohl eine vergleichbare "Technik" für das Projekt KONRAD aus Sicherheitsgründen ausgeschlossen wurde. Angesichts der immer wieder auftretenden Funde von radioaktivem Material in Morsleben, das nicht dokumentiert ist, stellt sich die Frage, was da eigentlich alles abgekippt wurde. Experten befürchten eine Wasserstoffbildung und im "Normalbetrieb" kommt es immer wieder zu erhöhten Radonkonzentrationen an dieser Stelle, die dann über den Abluftkamin an die Umwelt abgegeben werden.
Nächste Station: Der Kontrollraum der Flüssigeinlagerungsanlage. Hier wurde vor 1990 flüssiger radioaktiver Abfall eingelagert. Allerdings funktionierte die Verfestigung dieser Abfälle vor Ort nicht wie geplant und in der Folge sickert radioaktives Wasser durch die Grube und ist inzwischen 140 Meter tiefer angelangt. Doch nach Auffassung der dbe ist auch dies nicht wirklich ein Problem, ein Gefährdung für Grundwässer sähe man nicht und man hätte jetzt alles unter Kontrolle.
Die nächste Einlagerungsstation der Befahrung - nach Besichtigung des Überwachungslabors und einer Salzabbaumaschine - ist das Ostfeld. Hierbei handelt es sich um eine beeindruckend riesige Halle. Sie wurde aufgefahren, nachdem absehbar war, daß das Westfeld bald voll sein würde. Drei Lagen a drei übereinander gestapelten Reihen von gelben Fässern schwachaktiven Mülls und verlorener Betonabschirmung mit mittelaktivem Müll wurden hier, voneinander abgetrennt durch jeweils eine Salzschicht aufeinander gestapelt, bevor der Beschluß des Oberverwaltungsgericht am 25.9.1998 die Einlagerung stoppte. Noch weitere 7 solcher Lagen waren zur Einlagerung vorgesehen. Geklagt wurde, weil das Bundesamt für Strahlenschutz sich dieses Ostfeld in der sogenannten Eigenaufsicht (d.h., der Betreiber der Anlage überwacht sich selbst und genehmigt sich selbst Veränderungen im Einlagerungsbetrieb) genehmigt hatte. Doch die übernommene DDR-Genehmigung sah weder eine Einlagerung von mittelaktivem Müll in Betonabschirmung, noch eine Einlagerung im Ostfeld der Grube vor. Zudem war die genehmigte Gesamtaktivität für Morsleben bereits überschritten. Die BUND- Jugend Sachsen-Anhalt meinte, unterstützt von anderen Initiativen, dies sei doch eine zu wesentliche Änderung und bedürfe eines ordentlichen atomrechtlichen Planfeststellungsverfahrens. Und ihr wurde vor Gericht Recht gegeben.
Es war durchaus Bedauern in der Stimme des Vertreters der dbe zu hören, schließlich stecke in diesem Ostfeld viel Arbeit und jetzt dürfe man es nicht benutzen, nur weil die Bund-Jugend Sachsen-Anhalt sich daran gestört hätte, nicht an dem Verfahren beteiligt gewesen zu sein.
Bei der Rückfahrt wird noch Station beim UMF-Feld gemacht. Hierbei handelt es sich um ein Forschungslabor aus DDR-Zeiten in dem, ähnlich wie in der ASSE II, das Verhalten des Salzes bei der Einlagerung hochaktiver Abfälle untersucht wurde. Zwar mußten die abgebrannten Brennelemente in die Sowjetunion zurückgeliefert werden, doch fielen in Forschung, Industrie und Medizin auch in der DDR hochaktive Strahlungsquellen an. So hatte man z.B. mit Cobalt-60 Quellen radioaktiv markiert, um die Verockerung der Ansaugrohre zu verhindert, sozusagen als "Lebensmittelbestrahlung" wie der dbe-Vertrer erläutert. Über diese Quellen war es Mitte der 90er Jahre zu massiven Auseinandersetzungen mit dem Bundesumweltministerium gekommen, teilweise, weil Quellen auftauchten,. die nicht dokumentiert waren, teilweise weil es keine Genehmigung für die Lagerung der Quellen gab. Heute gibt es eine Zwischenlagergenehmigung und es muß damit gerechnet werden, daß diese Quellen sozusagen praktikabilitätshalber in Morsleben verbleiben, auch wenn es hierfür keine Sicherheitsbetrachtung gibt.
Knapp 3 Stunden dauert die Befahrung. Zum Abschluß gibt es noch etwas zu Trinken für die vom Salz ausgetrockneten Kehlen und einen kleinen Imbiß.
Fazit: Die Befahrung ist zunächst einmal industrietouristisches Sightseeing und man darf von den Betreibern nicht all zu viel Erhellendes über die tatsächlichen Probleme erwarten. Um die zu erkennen bzw. sie rauszuhören, ist es schon erforderlich, einiges an Vorinformationen mitzubringen. Allerdings: Wer gut informiert nach Morsleben kommt, muß auch einiges an Leidensfähigkeit bezüglich des hier gepflegten Umganges mit der Wirklichkeit mitbringen.
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