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Fukushima

Mutô Ruikos Botschaft 10 Jahre nach Fukushima

Mutô Ruiko, Lehrerin und langjährige Anti-Atom-Aktivistin aus Miharu in der Präfektur Fukushima sendet anlässlich des 10. Jahrestag der Dreifachkatastrophe von 2011 ihre Botschaft. Sie engagierte sich seit der Atomkatastrophe in Tschernobyl aktiv dafür, dass an ihrer Schule regelmäßig Katastrophenübungen für mögliche Unglücksereignisse durchzuführen seien. Muto Ruiko ist eine von 1.324 Einwohnern von Fukushima, die im Juni 2012 eine Strafanzeige eingereicht haben, in der Anklage gegen Führungskräfte und Regierungsbeamte von Tepco erhoben wurde.

Botschaft von Frau Ruiko Muto Sprecherin der Klägergruppe gegen TEPCO/Repräsentantin der Gruppe Frauen von Fukushima

Seit dem Reaktorunfall von Fukushima sind zehn Jahre vergangen. Ich möchte mich bei all denen bedanken, die seit dem 11. März 2011 in Gedanken bei uns sind.

In der „Hamadôri“-Region unweit von Fukushima Daiichi wird gerade über den Gebrauch des Ausdrucks „Wiederaufbau“ kontrovers diskutiert. Neulich war in einer Zeitschrift ein Artikel veröffentlicht worden über die Einweihungsfeier des Rathausgebäudes einer Zone, deren Evakuierungsbefehl vor kurzem aufgehoben worden war. Darin war einer der Mitarbeiter des Veranstalters abgebildet, der eine Jacke anhatte mit dem Schriftzug: „Bloß keine Zeit verlieren durchs Zurückblicken. Es gilt nur: vorwärts!“. In mir stieg sofort der Zorn auf bei verschiedenen Gedanken, die mir gleich durch den Kopf schwirrten: Was fällt denen ein, so etwas zu behaupten, obwohl noch gar nichts vorbei ist! Wie könnte man nach vorne schauen, ohne der Realität ins Gesicht zu sehen! Für wie dumm will man uns verkaufen und wagen, den Betroffenen so eine Jacke zu geben?

Zehn Jahre nach dem Nuklearunfall von Fukushima will man radioaktiv kontaminiertes Wasser ins Meer ableiten, obwohl Fischer, Kommunen und Gemeinden dagegen sind. Ein Teil der einst abgetragenen und zusammengesammelten verseuchten Erde hat man in landwirtschaftlichen Feldern zugeschüttet, um dort Gemüse anzubauen - als Experiment heißt es. Den Schilddrüsenuntersuchungen bei Kindern und Jugendlichen, die die Präfektur Fukushima seit der Reaktorkatastrophe regelmäßig durchgeführt hat, droht eine Reduzierung des Ausmaßes mit der Begründung, es führe zu Überdiagnosen. Erst vor kurzem wurde festgestellt, dass die Verschlussstopfen (am Deckelbereich) der Reaktorbehälter zwei und drei gefährlich hochradioaktiv verstrahlt sind, was erst nach fast zehn Jahren klar wurde.

Die sogenannte „Roadmap“ für die Stilllegung des Fukushima Daiichi wurde zwar vorgelegt, aber nichts ist darüber entschieden, wie die endgültige Stilllegung tatsächlich aussehen soll. Es ist noch ein sehr langer Weg.

Zeitzeugen und Betroffene, die im Memorial Museum für das Tôhoku-Erdbeben und die Atomkatastrophe als „Erzähler“ registriert sind, dürfen nicht frei von ihren Erlebnissen, Erfahrungen und persönlichen Gefühlen erzählen, sondern bekommen vorher klare Anweisungen, worüber sie reden oder nicht reden sollen.

Das Fukushima Medizinproduktentwicklungs-Support-Center, das mit einer gigantischen Summe aus dem Budget für den Wiederaufbau lanciert worden war, weist bereits ein bedeutendes Defizit auf, und das Projekt des Offshore Windparks in Fukushima ist nun ganz zurückgezogen worden. Von der Zukunftsvision, die einst von einer Expertengruppe als Ziel für die betroffenen Gemeinden in der Präfektur Fukushima vorgeschlagen worden war, ist der folgende Satz gestrichen worden: „Der Staat trägt die Verantwortung für den Wiederaufbau“*1.

Zusammengefasst: Die Schäden der Atomkatastrophe werden immer unsichtbarer gemacht, die Opfer im Stich gelassen, die für den Strahlenschutz geltenden Regelungen immer weiter gelockert, keiner für den Reaktorunfall muss zur Rechenschaft gezogen werden und schließlich darf die Atomindustrie weiterhin ihre Konzession geltend machen mit dem Ziel der Wiederbelebung und des Weiteraufbaus des Geschäftes. Ist das wirklich der „Wiederaufbau“, auf den die Betroffenen gehofft haben?

Wir haben aber keine Zeit zu resignieren, denn es gibt so vieles, was jede/r von uns machen muss angesichts der komplexen Realität, in der die Fakten schwer erkennbar sind. Wir müssen die Leben, die gesunde Entwicklung und die Erweiterung des Wissens der künftigen Generationen schützen. Die Verantwortlichen für den Nuklearunfall müssen genannt und die Wahrheiten klargestellt werden, damit die Lehren daraus gezogen und weitergegeben werden können. Wir müssen für eine energiesparende Wirtschaftsweise und eine nachhaltige Lebensführung eintreten und die Energiepolitik überdenken. Wir dürfen nicht mehr unsere Umwelt zerstören und sollten uns dafür einsetzen, damit alle Strahlenopfer genug Unterstützung bekommen und in Sicherheit und glücklich leben können.

Damit wir für weitere Schwierigkeiten gut gewappnet sind, vor denen die Zeit uns überall in der Welt stellen, sollten wir mit heiterer Ruhe eins nach dem anderen das Mögliche tun und uns dabei nicht aus den Augen verlieren.

 

zum 11. März 2021 in Fukushima,

Mutô Ruiko

 

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(Übersetzung aus dem Japanischen: Sayonara Nukes Berlin) *1) Nach dem Einspruch der Präfektur Fukushima hat die Expertengruppe am 25. Februar 2021 beschlossen, diesen Satz in die „Zukunftsvision von Fukushima“ wieder aufzunehmen

Botschaft als .pdf-Dokument, Foto Mutô Ruiko von Andreas Singler