Ich erinnere mich, dass wir schon drei Jahre vor dem 25. Jahrestag von Tschernobyl (2008/2009) bei den Auswertungen und Planungen zu den Tschernobyl-Konferenzen des Bildungs- und Begegnungswerk Dortmund überlegten, wie wir diesen runden Jahrestag so gestalten können, dass er in der Öffentlichkeit deutlich wahrgenommen wird. Wir waren damals fest davon überzeugt, dass es der letzte Tschernobyl-Jahrestag sein wird, der in der Öffentlichkeit überhaupt noch diskutiert und zur Kenntnis genommen wird.
Die Antwort auf die selbst gestellte Frage war: Zum 25. Jahrestag, also 2011, machen wir eine große Wanderausstellung, mit Informationen zu Tschernobyl, den Liquidatoren und der beispiellosen Solidaritätsbewegung. Die Ausstellung sollte gekoppelt werden mit der Einladung von Liquidatoren von Belarus oder der Ukraine als Zeitzeugen. Die Zeitzeugen sollten in Schulen mit möglichst vielen Schülern sprechen. Sie sollten aber auch Schüler-, Konfirmanden- und anderen Gruppen im Anschluss an den Ausstellungsbesuch in einem separaten Raum von ihren Erlebnissen in Zusammenhang mit der Tschernobyl-Katastrophe berichten.
Wir, die „Tschernobyl-Initiative in der Propstei Schöppenstedt e.V.“, haben die Ausstellung 2011 zwei Mal gebucht. Ende Februar sollte die Ausstellung in der Trinitatiskirche Wolfenbüttel und Ende März in der St. Martinikirche in Braunschweig gezeigt werden.
Bei der Ausstellung in Wolfenbüttel hatten wir große Probleme, Termine in Schulen für die Liquidatoren zu bekommen. Auch die Berichte im Anschluss an den Ausstellungsbesuch hielten sich in Grenzen.
Die Ausstellung in Braunschweig lag in der Zeit nach dem 11.03., also nach Fukushima. Jetzt war plötzlich das Interesse an Tschernobyl und was damals genau passierte, riesengroß. Nicht wir mussten nach Terminen in Schulen ringen, sondern die Schulen, meist die Direktor*innen selbst haben sich bei mir gemeldet und wollten, dass wir in die Schulen kommen. Es wurden Treffen mit ganzen Jahrgängen in der Aula organisiert. Mehrere Veranstaltungen mit ca. 200 Schülern haben sich ergeben. Auch die Ausstellungsbesuche von Einzelpersonen, aber vor allem von Schulklassen konnten gar nicht mehr mit Anmeldung bewältigt werden. Ganz zu schweigen von Gruppengesprächen im sep. Raum. Unser Glück war die große Martinikirche. Im Stundentakt haben die Zeitzeugen von der Kanzel aus ihre Berichte vor mehr als jeweils 200 Personen abgegeben. Der Bundestagsabgeordnete aus dem hiesigen Wahlkreis der SPD (2011 Bundesvorsitzender der SPD und Ex-Bundesumweltminister) hat es sich nicht nehmen lassen, diese Ausstellung zu besuchen. Damit hatten wir die gewünschte Öffentlichkeit. Presse und Fernsehen war da!
Bleibt mir als Schlusswort zu diesen „Fukushima-Erinnerungen“ aktuell zum 10. Jahrestag mein Erstaunen zum Ausdruck zu bringen, wie sich die Informationen und die Umgangsweisen nach Tschernobyl und nach Fukushima unterscheiden. Nach oder durch Tschernobyl habe ich angefangen mich mit dem Thema „Radioaktivität“ zu beschäftigen. Ich habe gelernt, das Caesium-137 (schädlich für Mensch und Umwelt) hat eine Halbwertzeit von 30 Jahren. Das heißt, dass für Tschernobyl die erste Halbzeit vorbei ist, das heißt, knapp die Hälfte ist noch da!
In Fukushima ist jetzt (10 Jahre danach) erst 1/3 der ersten Halbwertzeit vorbei. Das heißt, dass mehr als die Hälfte der Radioaktivität noch vorhanden ist. In dieser Zeit, in der eher Vorsicht geboten ist, schafft es Japan die Olympischen Spiele nach Japan zu holen. Was ist da wohl alles im Hintergrund gelaufen (oder geflossen), um dies möglich zu machen? Was aber (in aller Welt) hat die Öffentlichkeit, die Medien alles übersehen, um das zu akzeptieren? Fragt man das Bundesamt für Strahlenschutz oder das Bundes-Umweltministerium, dann heißt es: Kein Problem, kein erhöhtes Risiko für die Olympioniken und Besucher der Spiele (Pressemeldung vom 09.03.2020 Bundesamt für Strahlenschutz und öffentliche Sitzung des Bundesumweltausschusses am 11.03.2020).
Es fühlt sich an wie „Herrschaftswissen“ oder „Basta-Politik“. Die Gremien geben vor, was die Bevölkerung zu glauben hat. Alternative Wissenschaftler und deren Ergebnisse werden nicht zur Kenntnis genommen. Jegliche Kritik verpufft. Das ist nicht zeitgemäß. Es wird Zeit, dass für Ämter wie das „Bundesamt für Strahlenschutz“ und das „Bundes-Umwelt-Ministerium“ Kontrollgremien eingerichtet werden, die dieser Gutsherrenart ein Ende setzen.
Es geht um unsere Gesundheit. Es geht um die Gesundheit der nachfolgenden Generationen.
Jetzt, in Zeiten der Corona-Pandemie, wird die Gesundheit über die Wirtschaft gestellt. Bei allen Fehlern die in dieser Krise gemacht werden, bleibt aber die Wertschätzung der Gesundheit.
Dies sollte auch für die Strahlen-Gefahren / Strahlenrisiko gelten, auch wenn die Radioaktivität keine eindeutigen und unmissverständlichen Spuren hinterlässt, wie z.B. Covid 19.
Paul Koch
Sozialdiakon i.R.