Bildende Kunst
Es gibt Wörter, die so lang sind, dass man den Anfang am Ende schon wieder vergessen hat. Als eine Art „Ein-Wort-Bericht“ geben sie sich den Anschein, als seien diese Wortkompositionen deckungsgleich mit der Identität ihrer Objekte.
Der Schein trügt. Was im Zusammenhang mit Atommüll als „Konditionierungsanlage“ längst etabliert ist, wäre als Ausdruck an sich schon verschleiernd genug. Doch jetzt setzt Neckarwestheim mit seinem „Reststoffbearbeitungszentrum“ neue Sprachimpulse. Diese Neubenennung bringt dem Betreiber den Vorteil, dass der Wiedererkennungswert minimiert wird und Nicht-Eingeweihte ihrer Fantasie freien Lauf lassen können.
Wer denkt bei „Reststoff“ schon an Atommüll? Umgibt den Begriff nicht geradezu ein Nimbus von Künstlerwerkstatt oder wenigstens einer Art Lehrwerkstatt, wer es gerne nüchterner mag.
Zumindest liegt dieser Reststoffbearbeitung die Assoziation nahe, dass hier kreative Prozesse im Gange sind. Ein Zentrum der bildenden Kunst vielleicht, zur Förderung junger Menschen, die aus Trash Neues schaffen.
Einen weiteren Aspekt der Verschleierung bieten solche Bandwurmwörter außerdem. Es gibt einen guten Grund sie abzukürzen (in diesem Falle RBZ). Und schon weiß niemand mehr, was sich dahinter verbirgt.
Wäre die Anlage gar ein Pilotprojekt wie die PKA in Gorleben, käme auch Pilotreststoffbearbeitungszentrum (PRBZ) in Frage. Rekordverdächtig wäre diese Wortlänge freilich nicht. Doch sollte den Betreiber nicht der Mut verlassen: Um ins Guinnessbuch der Rekorde zu gelangen, gibt es schließlich immer noch die Möglichkeit einen Kreativwettbewerb zu veranstalten.
Antonia Uthe