(Mi, 13.06.18/MN) Samstag, 09.06.2018 - 8 Uhr - Hauptbahnhof Braunschweig - eine kleine Gruppe versammelt sich mit guter Laune bei der Anti-Atom-Fahne am Fahrkartenschalter zur Zugfahrt zur Demo in die Atomstadt Lingen. Wobei die Demo in gewisser Weise schon im Zug beginnt, da wir sofort, nachdem wir unsere Sitzplätze eingenommen haben, von den Mitreisenden um uns herum aufgrund der Anti-Atom-Fahne angesprochen werden. Dadurch kommen wir zufälligerweise auch mit einer jungen Frau ins Gespräch, die in Lingen aufgewachsen ist und jetzt zu ihren Eltern dorthin fährt.
Und sie erzählt, dass sie sich durchaus der Gefahren, die von der Nutzung der Atomkraft ausgehen, bewusst ist, meint aber auch, dass wir Menschen vermutlich auch Meister im Verdrängen sind, was diese Gefahren angeht. So hat sie es im Rückblick erlebt, als sie in ihrer Kindheit in Lingen in der Nähe gelebt hat. Bei unserem Umstieg in Rheine, wo wir auf weitere Mitdemonstranten stoßen, werden wir wieder von Fahrgästen im Zug angesprochen. Das zeigt uns, dass die Gefahren, die mit Atomenergie verbunden sind, vielen vielen Menschen präsent sind. Das Ergebnis von zwei aktuellen Forsa-Umfragen macht genau das deutlich, nämlich, dass es eine eindeutige Mehrheit von Menschen in NRW und Niedersachsen gibt, die die Schließung der Atomlagen von Gronau und Lingen wollen. Unsere Begegnungen während der Zugfahrt sind natürlich nicht repräsentativ – jedoch bestätigen sie uns, dass es sich lohnt, diesen sonnigen Tag mit Zugfahrt und Demo zu verbringen, um einmal mehr unsere Forderung deutlich zu machen – ATOMKRAFT NEIN DANKE.
Als wir ankommen in Lingen treffen wir auch auf viele Menschen aus grenznahen Orten in Holland, Enschede, Hengelo, Zwolle usw. Warum sie an der Demo teilnehmen, macht Jan Schaake von der Initiative „Enschede voor Vrede“ klar. Der ‚Rummelreaktor‘ in Lingen, wie ihn die Niederländer nennen, und die sich häufenden Störfälle beunruhigen die 1,2 Millionen Menschen in den Niederlanden, die in einem Radius von 100 Kilometern vom Lingener Kernkraftwerk entfernt wohnen, denn sie wissen, dass im Katastrophenfall die radioaktive Strahlung nicht an der Grenze stoppt.“ Wie es im Katastrophenfall aussieht, macht Angelika Claußen, Europa-Vorsitzende von IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e. V.), deutlich: „Es gibt keinen wirksamen Katastrophenschutz. Ärzte und Feuerwehren sind nicht ausgebildet. Auch wir Ärzte würden es nicht hinkriegen. Der Weiterbetrieb der Atomanlage in Lingen sei deshalb unverantwortlich.“
Daher fordern die 80 Initiativen und Umweltverbände, die zur Demo aufgerufen haben, dass das AKW Lingen nach der Revision nicht wieder ans Netz gehen darf, so Matthias Eickhoff vom Aktionsbündnis „Münsterland gegen Atomanlagen“. Denn der erneute Betrieb ist gefährlich, „da jeder Störfall sich zum GAU entwickeln kann. Die Folgen der Radioaktivität können wir nicht absehen. Man hat keine Ahnung und spielt mit den Gefahren, warnt Gerd Otten, Sprecher des Elternvereins Restrisiko Emsland. „30 Jahre Lingen II sind genug!“ Darin unterstützt ihn Christina Burchert vom Arbeitskreis Umwelt Schüttorf, die befürchtet, dass durch die beschlossene Stilllegung erst in vier Jahren notwendige Investitionen nicht mehr getätigt werden und sich Störfälle häufen. Eine Ahnung davon, wie es sich anfühlen kann, wenn der Katastrophenfall eintritt, bekamen wir durch das gemeinsame Die-In zum Abschluss der Auftaktkundgebung. Wir lagen am Boden mit der Vorstellung, der Katastrophenfall ist eingetreten, jetzt hier am AKW – ein beklemmendes, beängstigendes Gefühl, das einen absolut hilflos und ohnmächtig macht. Gerd Schinkel beschrieb es während des Die-Ins in seinem Lied:
„Kennt ihr das Gefühl, wie’s sein könnt, wäre es vorbei,
Stellt euch vor, der Tag wär’ da und damit käm’ der Gau.
Irgendwas wär’ plötzlich in dem AKW passiert.
Wie sich das dann anfühlt, das weiß keiner ganz genau,
wenn so ein Reaktor überraschend havariert.
Wie sich das wohl anfühlt, wenn man auf dem Boden liegt
und kann nicht mehr spüren, wie es danach weiter geht.“
Und um sich dieser Ohnmacht nicht zu ergeben, ruft der Song zum Schluss dazu auf:
Alle, die sich nicht damit abfinden wollen, sollen aufstehn. Alle, die mit dagegen angehen wollen, sollen aufstehn. Alle, die nicht wolln, dass ein Reaktor havariert, sollen aufstehn.
Damit ging es dann los auf die Demoroute vom AKW-Lingen zur Brennelemente-Fabrik, die die maroden Meiler in Belgien und anderswo mit Brennelementen beliefern, für AKWs, wenn sie havarieren, das Leben von Tausenden von Menschen in Europa durch das mögliche Eintreten eines Super-Gaus täglich bedrohen, wo Jodtabletten und Katastrophenschutz keine Hilfe mehr sind. Damit wollen wir uns nicht abfinden, deshalb waren wir auch aus der Region Weltatomerbe Braunschweiger Land in Lingen und haben an der Demo von 500 Menschen in Lingen teilgenommen, zu der 80 Initiativen und Umweltverbände aufgerufen haben und die die Arbeitsgemeinschaft Schacht KONRAD ebenfalls unterstützt hat. Demo-Homepage
AKW abschalten! Uranfabriken schließen! Uran-Exporte stoppen! Viereinhalb Jahre Laufzeit für das AKW Lingen sind viereinhalb Jahre ZUVIEL!